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Im November vergangenen Jahres verbreiteten mehrere Medien Berichte über eine trans Polizeibeamte namens Judy S., die zwei Männer sexuell missbraucht haben soll. Doch an der Geschichte stimmte fast nichts.
Dass Boulevardzeitungen und rechtspopulistische Portale in ihrer Berichterstattung manchmal danebenhauen, ist nicht weiter überraschend.
Wo große Schlagzeilen und Ressentiments regieren, passieren Fehler, mitunter auch gravierende. Doch der Vorfall, der sich Ende des vergangenen Jahres zutrug und nun erstmals öffentlich wurde, verblüfft selbst hartgesottene Medienbeobachter.
Im November 2024 erschienen mehrere Artikel in der »Bild«-Zeitung und auf dem rechtspopulistischen Portal »Nius«. Sie handelten von einer Beamtin der Berliner Polizei, die zur Frauenvertreterin gewählt wurde. Judy S. heißt die Frau, sie ist Ende 20.
In den Texten ging es allerdings nicht so sehr um die Wahl an sich oder die Karriere der Polizistin – thematisiert wurde vielmehr ein vermeintlicher Skandal.
Die »Bild«-Zeitung behauptete: Judy S. sei erstens im Körper eines Mannes geboren worden und habe zweitens eine kriminelle Vergangenheit.
Sie habe zwei Bundespolizisten nach einer Partynacht unter Drogen gesetzt und sexuell missbraucht. Ein Text darüber trug den reißerischen Titel: »Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wusste, dass die Polizistin einen Penis hat«.
Doch wie der »Tagesspiegel« jetzt berichtet , stimmt an der Geschichte offenbar kaum etwas. Judy S. wurde nicht als Mann geboren.
Auch die Ermittlungen wegen des mutmaßlichen Sexualdelikts wurden demnach Ende Januar eingestellt. Es soll weder Indizien noch Beweise für eine solche Straftat gegeben haben.
Offenbar wurde Judy S. Opfer einer transfeindlichen Medienkampagne.
Wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich die Berichte über die angebliche Transidentität verbreiteten, ist nicht ganz klar, genau rekonstruieren lässt sich der Fall nicht.
Die Polizeireporterin der »Bild«, die als Erste über den Fall von Judy S. berichtete, ist mit einem Polizeibeamten verheiratet, der Mitglied des Landeshauptvorstandes der konservativen Polizeigewerkschaft DpolG und im Gesamtpersonalrat der Berliner Polizei ist.
Es gebe Indizien, dass die Berichte Ausdruck polizeiinterner Intrigen seien, schreibt der »Tagesspiegel«.
Nachdem Christian Schertz, der Medienanwalt von Judy S., gegen die Berichterstattung der »Bild« vorging, löschte die Zeitung die Beiträge. Mittlerweile soll die Reporterin nicht mehr für das Springer-Medium tätig sein.
Am 20. Dezember veröffentlichte die »Bild«-Zeitung eine unspezifische Entschuldigung in der Causa, abends um 22.38 Uhr. »Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – und Fehler passieren auch in der ›Bild‹-Redaktion!«, heißt es darin.
Es war der Tag der Amokfahrt in Magdeburg, mediale Großlage. Die wenigsten Leser, die die Berichte über Judy S. verfolgt und geglaubt haben, dürften die Korrektur und Entschuldigung bemerkt haben.
Wie der SPIEGEL auf Nachfrage erfuhr, hat auch das Portal »Nius«, das von Ex-»Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt geleitet wird, eine Unterlassungserklärung abgegeben.
Die Beiträge des Mediums über Judy S. verschwanden von der Seite und sind nicht mehr aufrufbar. Eine Entschuldigung oder Korrektur veröffentlichte »Nius« nicht. Auf eine Anfrage des SPIEGEL reagierte das Portal nicht.
»Nius« berichtete zunächst nicht nur über den Fall von Judy S., sondern nahm die Texte von »Bild« auch zum Anlass für einen transfeindlichen Kommentar.
Eine Autorin des Portals schrieb darin: »Manche Lügen haben lange Beine und legen einen weiten Weg zurück. Zum Beispiel die Lüge, dass ein Mann eine Frau sein kann, wenn er es bloß behauptet.« Und weiter: »Jede Lüge braucht jemanden, der sie verbreitet.«
In diesem Fall verbreitete nur »Nius« Lügen – die über eine junge Berliner Polizistin.